Zur Askese gezwungen

Zur Askese gezwungen, um daran zu wachsen.

Ein bekannter jüdischer Witz geht so:

Ein Mann kommt zum Arzt, weil es Ihm schlecht geht. Der Arzt diagnostiziert dem Mann Krebs, hat aber auch eine Pille dagegen, die dem Mann das überleben sichert. Der Mann muss die Pille jeden Tag einnehmen, dann stirbt er nicht. Die einzige Nebenwirkung der Pille ist, dass der Mann nie wieder eine Erektion bekommen wird. Der Mann bespricht das mit seiner Frau und diese willigt ein, des Überleben willens. Er nimmt die Pille über Jahre, hat aber nie wieder eine Erektion. Nach 5 Jahren wacht der Mann Morgens mit einer riesigen Erektion auf. Besorgt ruft er seinen Arzt an und fragt warum er auf Einmal wieder eine Erektion bekommen hat. Der Arzt sagt Ihm, dass er nun sterben wird.

Humor hat man, oder eben nicht. Wobei dieser Witz vielen Personen aus dem nicht-jüdischen Kulturkreis, wohl sehr markaber vorkommen wird. Die historisch leidgeplagten Israeliten, hatten tausende Jahre Zeit, zu lernen mit Ihrer Misere umzugehen. Offensichtlich gelang Ihnen das auch mit Humor.

Was ist die Kernaussage des Witzes? Man gibt etwas geliebtes auf, um einen höhereren Zweck zu erfüllen. Das Überleben. Denn schließlich ist das Leben, so sagt man, das höchste verfügbare Gut.

Nun gilt es zu unterscheiden, zwischen Leben und Überleben. So man denn Humor hat, ist das Lustige an Krebs, dass er gnadenlos ist. Er verhindert unbehandelt das Überleben und nimmt einem gleichzeitig das, was man so als Leben bezeichnet. Man hat also in jedem Fall die Arschkarte gezogen.

Die Sache mit der Erektion ist gar nicht mal weit her geholt. Bekanntermaßen schädigt eine Chemotherapie die Reproduktionsorgane und führt unweigerlich zur Unfruchtbarkeit. Bei Frauen genauso wie bei Männern. Selbstverständlich gibt es in der modernen Medizin Methoden das Erbgut zu konservieren, der körperliche Schaden entsteht dennoch.

Angenommen der Sinn des Lebens, sei die Fortpflanzung, dann entzieht die Therapie einem den Selbigen. Untherapiert verliert man jedoch sein Leben. Eine lose-lose Situation, die auf lange Sicht zur eigenen physischen Annihilation führt. Besser haben es Betroffene, die bereits vor der Erkrankung für Nachwuchs gesorgt haben. Zumindest wenn die Krankheit nicht vererbt wurde.

Für Diejenigen, deren Daseinsberechtigung nicht nur in der Weitergabe der eigenen Gene liegt, entpuppt sich die Krankheit als unüberwindbares Hindernis. Man ist frei und gleichzeitig eingeschränkt in allen Lebenslagen. Wer vorher auf der Welle der Welle des Lebens gesurft ist, fühlt sich mit der Erkrankung und während der Therapie, höchstens noch wie der braune Fleck in der Toilette, an dem das Spülwasser vorbeirauscht.

Soziale Kontakte und Beziehungen zerbrechen genauso an der nicht enden wollenden Last, wie berufliche Erfolge. Nicht selten führt die Krankheit, selbst wenn man sie übersteht zum sozialen Abstieg. Oft landen Menschen nach dem Krankengeld in der sozialen Grundsicherung, da die Arbeitsfähigkeit nicht mehr hergestellt werden kann.

Alles was man vorher genossen hat, wird einem genommen. Die Dinge die das Leben lebenswert gemacht haben entschwinden. Das leckere Essen kann man nicht mehr genießen, da die Therapie die Schleimhäute zerstört und man beim kauen Schmerzen hat. Die Bierchen mit den Freunden, oder die Flasche Wein auf dem Sofa mit der Freundin, entfallen, da die Leber und die Niere bereits mit der Chemo genug zu tun haben. Reisen in ferne Länder entfallen, da man regelmäßig ins Krankenhaus muss. Empfehlenswert ist eine Reise in Länder ohne westliche, moderne medizinische Versorgung ohnehin nicht mehr. Die Teilnahme am Straßenverkehr, ist unter den ganzen Medikamenten ebenfalls bedenklich. Sportliche Betätigung ist zwar förderlich, jedoch zeigt einem der Körper dabei sehr schnell seine Grenzen auf. Die Attraktivität gegenüber Fremden und potenziellen Geschlechtspartnern vermindert sich spürbar. Ungefestigte Beziehungen finden Ihr Ende, „Freunde“ wenden sich ab und man steht alleine da. Dazu fühlt man sich ständig, schwach und krank. Man wird zur Askese gezwungen.

Es ist schwierig, sich von diesem unfreiwilligem Verzicht, in Kombination mit der Aussicht auf einen verfrühten Tod, nicht die Laune verderben zu lassen.

Gemäß dem Motto „Alle Kraft, kommt aus einem selbst“, kann man an einer solchen Situation wachsen. Es zeigt sich schnell, was und wer einem wirklich wichtig ist. Ebenso zeigt sich wem man selbst wichtig ist.

Gerade die Langwierigekeit der Behandlung, ermöglicht es, sich ausgiebig mit den eigenen Ängsten und Problemen zu befassen. Erfahrungsgemäß erledigen sich viele gedachten Probleme von selbst. Leider kommen auch einige neue hinzu.
Das Stichwort ist Geduld. Wer das Bedürfnis nach Kontrolle und Freiheit hat, dem sind von heute auf Morgen die Hände gebunden. Es lässt sich nichts mehr kontrollieren, verändern, oder beschleunigen. Termine werden unwichtig. Planung wird unwichtig. Kontrolle wird unwichtig. Man wartet größtenteils auf andere, da die eigene Handlungsfähigkeit brutal beschnitten wird. Das Einzige, was bleibt und was sich ändern lässt sind die eigenen Gedanken und das Verhalten gegenüber der zahlreichen Menschen um einen herum.

Es ist die Chance auf ein ungewohntes, neues Leben. Man fällt nach oben.

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